Edward Elgar ist bekannt für seinen den späten Glanz des britischen Imperiums feiernden Kompositionsstil, der in seinen Pomp and Circumstance Marches einen jährlich in den Last Night of the Proms begeistert gefeierten Höhepunkt erreicht. Elgar kann jedoch auch anders, wie unter anderem in seinem Cellokonzert und in seinem Violinkonzert zu hören, die zwar unverkennbar viktorianisches Lebensgefühl umweht, die jedoch gänzlich unzeitgemäß vorwiegend der musikalischen Romantik frönt. Beide Konzerte sind zahlreich auf Tonträger gebannt worden und werden dies bis zum heutigen Tag. Es handelt sich also um Klassiker des Tonträgermarkts und ebenso des Konzertbetriebs.
Einen diskographischen Höhepunkt des Elgar Violinkonzerts markiert die Aufnahme mit dem sechzehnjährigen Yehudi Menuhin und dem Komponisten am Dirigentenpult aus dem Jahr 1932, mithin 22 Jahre nach der Erstaufführung mit dem Widmungsträger Fritz Kreisler und damals bereits mit Edward Elgar. Einen Höhepunkt definiert die Menuhin-Aufnahme auch unter technischem Aspekt: dies war das erste Mal, dass dieses Konzert mit dem elektrischen Verfahren aufgenommen wurde und damit für den Hörer zuhause erstmals aufgezeigen konnte, welch üppige Orchestrierung Elgar dem Konzert zukommen ließ. Die Erstaufnahme des Konzerts in akustischer Aufnahmetechnik erfolgte 1929 mit dem formidablen britischen Geiger Albert Sammons und dem Dirigenten Sir Henry Wood. Diese mithilfe eines Schalltrichters erstellte Aufnahme muss verständlicherweise hinsichtlich der Klangqualität im Vergleich zur mit Mikrophonen erstellte Menuhin-Aufnahme passen. Sie markiert jedoch gleich zu Beginn der Diskographie des Elgar-Violinkonzerts eines der beiden Interpretationsextreme mit einem straffen Zugriff und flotten Gangart. In gerade einmal 43 Minuten bewältigte das Gespann Sammons/Wood das Konzert, während Menuhin/Elgar sieben Minuten mehr Zeit benötigen und dadurch die Opulenz und das Magistrale des Werks betonen. Diese beiden zeitlich und interpretatorisch unterschiedlichen Ansätze spalten bis heute auf Tonträgern festgehaltene Interpretationen in zwei Lager. Heutige prominente Aufnahmen, die dem Menuhin/Elgar-Ansatz folgen stammen von Pinchas Zukerman der mit um die 50 Minuten für seinen beiden Aufnahmen ganz nahe an Menuhin/Elgar liegt, während Nigel Kennedy mit 54 Minuten den Langsamkeits-Rekord halt.
Die britisiche Violonistin Nicola Benedetti, die das Elgar-Violinkonzert neuerdings mit Vladimir Jurowski and the London Philharmonic aufgenommen hat liegt mit einer Dauer des Konzerts von knappen 48 Minuten deutlich über der Rekordzeit von Sammons/Wood und unterhalb der Dauer der Menuhin/Elgar Aufnahme, jedenfalls aber deutlich unterhalb den üppigen Zeiten der Zeitgenossen Kennedy und Co. Selbstredend ist die Zeit, die eine Interpretation benötigt, nicht an sich ein Kriterium für ihre Qualität. Der zeitliche Rahmen bestimmt jedoch entscheidend mit, welche Stimmung eine Interpretation einem Werk verleihen kann und diesbezüglich verfolgt Nicola Benedetti mit durchsetzungskräftigem, kernigem Geigenton, tatkräftig unterstützt vom Dirigenten und dem Orchester ihren ganz eigenen, bewundernswerten Weg fern von jeglichem Pomp and Circumstance. Lyrisch expressiv und dort zupackend, wo dies angezeigt ist, setzt sich Nicola Benedetti von der Tonträger-Konkurrenz ab. Dies ist eine spannende Version des Elgar-Violinkonzerts, die man haben muss.
Vervollständigt wird das Elgar-Album durch drei Miniaturen für Violine und Klavier: Sospiri, Salut d’amour und Chanson de nuit. Begleitet von Petr Limonov adelt Nicola Benedetti diese Miniaturen mit delikatem, seidenweichen Ton, der im Kontrast zu dem muskulösen Tonansatz im Konzert steht und die Wandlungsfähigkeit der Künstlerin demonstriert.
Nicola Benedetti, Violine
London Philharmonic Orchestra
Vladimir Jurowski, Dirigent