Wer meint, Rock fände in der Klassik nicht statt, der irrt. Als schlagkräftiger Beweis kann das neue Album mit den italienischen Spezialisten historischer Aufführungspraxis Giuliano Carmignola und Mario Brunello dienen. Wie da auf Grundlage von Violinkonzerten der Altmeister Bach und Vivaldi nicht nur genial lebendig musiziert wird, sondern wie die Wildheit auf historischen Instrumenten, dort wo es angebracht ist, auf höchstem instrumentalen Niveau voll ausgelebt wird, das ist schlicht umwerfend. Diese Spielart geht voll auf Rechnung des Geigers Carmignola und des Cellisten Brunello, beides langsam aber sicher in die Jahre kommende Herren, denen musikalisches Revoluzzertum, angereichert mit südlicher Verve nach wie vor in den Knochen steckt. Und natürlich auf Konto des kongenial gestimmten Ensembles Accademia dell’Annunciata mit Sitz nahe Mailand.
Die hier eingespielten Konzerte Bachs und Vivaldis sind zwar ursprünglich für zwei Violinen geschrieben, sind hier jedoch durch eine Besetzung mit einer Violine im Verbund mit einem Cello, genauer einem Violoncello piccolo ersetzt, das sich im 17. Und 18. Jahrhundert großer Beliebtheit erfreute, und das auf dem Album Sonar in ottava (nomen est omen) den zweiten Violinpart eine Oktave tiefer gesetzt übernimmt. Was auf den ersten Blick ein willkürliches Arrangement zu sein scheint, war zur Erstehungszeit der Violindoppelkonzerte gang und gäbe, zu der es keinesfalls unüblich war, Streichinstrumente durch Holzbläser zu ersetzen und umgekehrt.
Apropos Violoncello piccolo, oder kurz Cello piccolo: wie der Name sagt, handelt es sich bei diesem Streichinstrument um eine kleine Version des Cellos, das mit der Violine die Stimmung und sogar weitgehend die Spielweise teilt, andererseits jedoch mit der Tiefe und dem Resonanzvermögen eines „erwachsenen“ Cellos glänzt. Mario Brunello ist ein ausgesprochener Spezialist für das kleine Cello, mit dem er zahlreiche Alben der Komponisten Bach, Vivaldi und Tartini unter großem Erfolg eingespielt hat. Der zwischen Violine und Cello changierende Klang des Violoncello piccolo mischt sich von Mario Brunello mit scheinbarer Leichtigkeit, ausdruckstark und stets hochvirtuos zum Singen gebracht mit dem klangfarbenstarken, dynamischen und nicht weniger virtuosen Spiel der Violine Giuliano Carmignolas, der zu Recht als einer der allerbesten, der historischen Aufführungspraxis verbundenen Violonisten gilt.
Das von Giuliano Carmignola und Mario Brunello zusammen mit der Accademia dell’Annunciata genial in Szene gesetzte und genial interpretierte, barocke Rockkonzert, das auf Sonar in ottava eingefangen ist, wurde im Convento dell’Annunciata, Abbiategrasso, dem Sitz des gleichnamigen Ensembles aufgenommen, deren offensichtlich hervorragende Akustik einen würdigen Rahmen für diese überaus gelungene Produktion bildet.
Giuliano Carmignola, Violine
Mario Brunello, Cello
Accademia dell'Annunciata
Riccardo Doni, Leitung