Und wieder einmal ist Beethovenjahr. Während des Beethovenjahrs vor 50 Jahren, also anno 1970, war die Welt der Tonträger noch eine ganz andere. Nicht nur, dass es keine CDs und Downloads gab und die LP das unbestrittene Hauptmedium und die Tonband-Kassette das zweitwichtigste Medium waren, vielmehr teilten sich zu jenen seligen analogen Zeiten zwischenzeitlich untergegangene oder fusionierte oder nur noch als Marken existierende Konzerne wie DGG, Decca, EMI, RCA, CBS, Philips, Telefunken den Klassik-Tonträgermarkt. Dies hatte zur Folge, dass er Konkurrenzdruck gerade zum Beethovenjahr erheblich war und alle bestrebt waren, dem Bonner Meister mit Neuaufnahmen und riesigen Kompilationen aus dem Backkatalog umsatzsteigernd zu huldigen. Im Vergleich dazu ist das was in unseren heutigen digitalen Zeiten zum 250. Geburtstags Beethovens mengenmäßig bereits erschienen und für den Rest des Jahres angekündigt ist, eher jämmerlich. Das liegt weniger daran, dass die seinerzeitigen Big Player nur noch reduziert an Bord sind, sondern eher daran, dass die Leitung dieser Firmen in den Händen klassikferner Manager liegen, deren Blick ausschließlich auf Gewinnmargen gerichtet ist, und dass die Produktionskosten durch die Decke geschossen sind. Dafür gibt es heute zahlreiche neue, meist kleinere Unternehmen und Rundfunkanstalten, die mit Leidenschaft digitale Tonträger, wenn auch in kleinen Zahlen auf den Markt bringen. Zu dieser Leidenschaft gehört, dass Ungewöhnliches, nicht seit Jahrzehenten zu Tode gerittene Kompositionen unbekannter Meister und im Falle Beethovens seine Kompositionen in ungewöhnlichen Besetzungen veröffentlicht werden, wie instrumental auf das absolut Notwendige reduzierte Arrangements der Beethoven Sinfonien 1, 2 und 3 durch seine Zeitgenossen Ferdinand Ries und Carl Friedrich Ebers. Motiviert waren die beiden Arrangeure zu Ihrer Arbeit durch die Tatsache, dass es in den tonträgerfreien Zeiten Beethovens Usus war, neue Kompositionen nicht nur im Original, sondern auch in instrumental reduzierter Form arrangiert zu verbreiten. In das Abenteuer, diese Arrangements Beethovenscher Musik in revidierten Fassungen – ein Studium des Booklets des neuen Albums ist für Näheres hierzu zu empfehlen – haben sich die Musiker des Ensembles Compagnia di Punto gestürzt.
Das durch die minimalistisch besetzte Compagnia di Punto erstmals umwerfend ins Werk gesetzte Arrangement der ersten drei Beethoven Sinfonien durch Ries und Ebers lässt einem die Haare zu Berge stehen ob der extremen Binnendynamik. Da klingen selbst die heute weitegehend als spannender Normalfall akzeptierten und in Konzerten wie auf Tonspeichern zu hörenden Aufführungen in historisch informiertem Gewand fad, von der Mehrzahl der romantisch angelegten und verwirklichten Interpretationen der Vergangenheit, aber auch der Gegenwart ganz zu schweigen, die regelmäßig gegen die aufgeklärten Versionen, was Lebendigkeit und Spannung betrifft, keine Chance haben und die im Orkus der Geschichte entsorgt gehören. Die Neuaufnahmen der Wiener Philharmoniker zum Beethovenjahr bilden da in ihrer an Karajans erster DGG Aufnahme erinnernden leerlaufenden Klangschönheit keine Ausnahme. Dabei gibt es unter den historischen Aufnahmen interessanterweise die eine oder andere Ausnahme von der romantischen Verschleierung des revolutionären Inhalts der Beethoven Sinfonien. Zu nennen sind hier das Philharmonic-Symphony Orchestra of New York unter Arturo Toscanini in Aufnahmen die an „Modernität“ und Überzeugungskraft dem heute gängigen historisch informierten Ansatz nahekommen, Aufnahmen, die neunzig Jahre und mehr in der Vergangenheit liegen und nolens volens mit konventioneller Orchesterbesetzung gemacht worden sind. Selbst der große italienische Maestro liefert vermag jedoch nicht die mit der extremen Binnendynamik und der minimalistischen Besetzung einhergehende Wildheit der Interpretation durch die Compagnia di Punto abliefern. Arturo Toscanini hätte seine Freude an diesem Ensemble gehabt – und der komponierende Möchtegern-Revoluzzer aus Bonn ohnehin.
Schönklang um seinetwillen sucht man vergeblich auf diesem Album, eher schon einen mitunter hemdsärmelig provokanten Zugriff, der einer Publikumsbeschimpfung recht nahekommt. Diese ungewöhnliche Sicht auf die beiden frühen Sinfonien Beethovens und seine berühmte Eroica könnte die Sicht auf Beethoven endgültig in eine Richtung lenken, die diesem gerechter wird als die schlackenfreien Hochglanz-Interpretationen, die trotz historisch informierter Interpretationen nach wie vor den Konzertbetrieb bestimmen.
Compagnia di Punto