Weniger kann mehr sein. Der israelische Jazzpianist Yonathan Avishai bezieht diese Weisheit auf Noten und meint, es gelänge ihm dadurch, seine Ausdrucksfähigkeit zu steigern. Mit dieser Meinung steht es keineswegs alleine da. Auch Duke Ellingtons Pianostil, den man zu Recht als expressiv bezeichnen darf, zeichnet sich durch ein absolutes Minimum an Noten aus. Kein Wunder also, dass Yonathan Avishai als Eröffnungsstück seines Debütalbums den Dauerbrenner „Mood Indigo“ des Altmeisters Ellington gewählt hat, mit einem Minimum an Noten ausgesprochen zögernd in die Vorlage einsteigt und erst im Laufe der Zeit den musikalischen Fluss mit mehr Noten anschwellen lässt, um schließlich aus dem Ellington-Stück durch heftige Abwandlung der Vorlage ein Avishai-Stück zu machen. Auf anfänglichen Minimalismus in „Mood Indigo“ in der Lesart von Yonathan Avishai eingeschworen agieren der Bassist Yoni Zelnik und der Schlagzeuger Donald Kontomanou im weiteren Verlauf des Stücks prononciert eigenständig und verantworten die Umgestaltung des Originals gemeinsam mit dem Pianisten. In „Song for Anny“ führt der Pianist mit einem ausführlichen Solo nahezu frei von jeglichem Rhythmus wiederum mit genau so wenig Noten ein, wie dies für den Aufbau einer expressiven Stimmung notwendig ist. Zusammen mit seinen beiden Triopartnern führt Yonathan Avishai daraufhin den Song in sonnig heller Stimmung rhythmisch lebendig weiter, ohne zu viele Noten ins Spiel zu bringen. Duke Ellington lässt auch grüßen. Auch an das nächste Stück „Tango” pirscht sich Yonathan Avishai in einem ausgedehnten Solo vorsichtig heran, bevor der Tango mit seinem typischen Rhythmus, fantasievoll verfremdet auch ohne den Einsatz von Bass und Schlagzeug zündet. Meisterlich. Nach ausführlichen Solopiano eröffnet das gesamte Trio das vor guter Stimmung schier berstende „Joy“. Spärliche Klavierakkorde sorgen für an Claude Debussy erinnernde Klangfarben und garantieren die Weiterführung des Mottos „weniger kann mehr sein“. „Shir Boker“ erweist sich als ruhig dahin schreitend mit gerade so viel Noten erzählte Ballade, dass die Spannung aufrecht erhalten bleibt. Nach diesem mehr der Entspannung und Kontemplation gewidmeten Stück genießt man das fröhlich swingende „Lya“, das zunehmend an Fahrt aufnimmt und Lebensfreude pur vermittelt. Der Aufbau von „When Things Fall Apart“ knüpft an den Aufbau des das Album eröffnenden Duke Ellington Stücks mit zögerlich verlaufendem Beginn und kompletter Verwandlung im weiteren Verlauf an. Afrikanische Rhythmen und Melodien klingen an künden von den ungewöhnlichen Songwriter-Qualitäten des Pianisten Yonathan Avishai, der bis auf das Ellington-Stück den gesamten Stücke-Inhalt von Joys And Solitudes verantwortet. So auch das letzte Stück des Albums „Les Pianos De Brazzaville“, das aus dem musikalischen Kongo importierte raffiniert auf die Bedürfnisse der westlichen Welt abgestimmte positive Energie im Überfluss transportiert, und den Hörer frohgestimmt in seine Alltagswelt.
Yonathan Avishai und sein Trio demonstrieren mit ihrem Debutalbum auf dem Label ECM Joys And Solitudes eindrucksvoll, dass heutzutage Jazz nicht nur revolutionär neue Ansätze verfolgen muss, um das Interesse von Hörern zu erwecken, sondern dass er auch traditionsnah daherkommen darf, solange das traditionsnahe Angebotene frisch und innovativ präsentiert wird.
Yonatan Avishai, Klavier
Yoni Zelnik, Bass
Donald Kontomanou, Schlagzeug