Das belgische Trio Khaldei mit der Pianisten Barbara Baltussen, dem Geiger Pieter Jansen und dem Cellisten Francis Mourey hat sich im Jahr 2011 formiert und ist seitdem vorrangig in den heimatlichen Konzertsälen äußerst erfolgreich unterwegs. Namensgeber für das Trio ist nicht etwa ein Musiker oder Komponist, sondern der Fotograf Evgueni Khaldei, jener Fotograf, dessen Foto „Auf dem Berliner Reichstag“ das Ende der Naziherrschaft wie kein anderes verkörpert, und der sich einen Namen mit eindringlichen Porträts bedeutender russischer Künstler gemacht hat. Inspiriert durch die Wahrheitssuche des russischen Fotografen in schwierigen Zeiten und seine authentischen Fotodokumente sehen die jungen Musiker des Trios in Evgueni Khaldei ein Vorbild für ihre Herangehensweise an die Interpretation von zum Teil unbekannten Kompositionen des zwanzigsten Jahrhunderts. Eine Spezialität des Khaldei Trios ist die Aufführung russischer Kompositionen der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. So nimmt es kein Wunder, dass ihr 2016 aufgenommenes erstes Album den prominenten Komponisten der Sowjetära Dimitri Schostakowitsch und Sergei Prokofjew gewidmet ist.
Schostakowitschs Klaviertrio Nr. 1 in einem Satz, das 1923 im siebzehnten Lebensjahr des Komponisten entstand, ist stark der Romantik verpflichtet und strahlt einen Optimismus aus, der dem Komponisten, nachdem er 1930 mit seiner Oper Lady Macbeth von Mzenzk bei Stalin schlagartig und nachhaltig in Ungnade gefallen war, abhandengekommen ist. Hier und da meldet sich in diesem frühen Klaviertrio bereits der spezielle, grelle Humor des Komponisten, der mitunter wie ein Blitz aus heiterem Himmel in die romantische Stimmung einschlägt. Und selbstverständlich geht es im musikalischen Verlauf, der typisch Schostakowitsch hektische Züge annimmt, auch nicht ganz ohne Dissonanzen ab. Vierzehn Jahre nach der Lady Macbeth Katastrophe entstand das Klaviertrio No.2 Op. 67 in der Endphase des zweiten Weltkriegs. Der klägliche Beginn des Trios mit seinem dünnen, nahezu körperlosen Cellosolo kennzeichnet das eine Extrem der Stimmung dieses Werks, dessen anderes von wilder Ektase bestimmt nichts anderes ist als Ausdruck totaler Verzweiflung ist. Ein wahrhaft groteskes, die kriegerische Situation spiegelndes Stück Musik, das nichts weniger ist als ein Requiem auf die unzähligen Opfer des zweiten Weltkriegs.
Auch von Prokofjew stellen die Musiker des Khaldei Trios, jeweils in Duobesetzung ein Jugendwerk, die Ballade für Cello und Klavier aus dem Jahr 1912 den später entstandenen Fünf Melodien für Violine und Klavier Piano Op. 35 (1925) gegenüber. In dieser Periode befand sich Prokofjew in der glücklichen Lage, frei von den Unbilden sowjetischer Unterdrückung Werke schaffen zu können, die ähnlich dem ersten Klaviertrio von Schostakowitsch der Romantik verpflichtet sind. Die Ballade macht deutlich, dass Romantik neben lebensfrohem Sehnen auch in nächtliches Dunkel gehülltes, spannungsgeladenes Suchen mit ungewissem Ausgang kennt. Dem Klavier kommt bei der Prokofjewschen Ballade die Rolle des Stimmungsmachers zu, während das Cello in langen lyrischen Linienschwelgend die Rolle des Balladenerzählers übernimmt. Ohne den Ausgang der Ballade eindeutig zu fixieren, gewinnt man den Eindruck, dass ihr Protagonist letztendlich dem nächtlichen Dunkel entkommt.
Ursprünglich als Lieder ohne Worte für Klavier und eine Sängerin/einen Sänger konzipiert, arrangierte Prokofjew Die Fünf Melodien op. 35 für Klavier und Violine. Dank reicher lyrischer Melodienführung und bis in Höhenlagen hinaufsteigend, die von der menschlichen Stimme unerreichbar ist, erfreut sich diese an die Charakteristik der Violine angepasste, vom Prokofjewschen Esprit durchdrungene Gesangskomposition – die Sinfonie Classique lässt grüßen – bis zum heutigen Tage nachvollziehbar einiger Beliebtheit.
Die Musiker des Khaldei Trios finden sowohl zu dritt als auch in Duoformation geradezu traumwandlerisch die jeweils optimale Interpretation dieser russischen Kompositionen und machen so dem Namensgeber Evgueni Khaldei alle Ehre, dem die Wahrheitssuche und die authentische Darstellung historischer und privater Situationen über alles ging.
Barbara Baltussen, Klaviuer
Pieter Jansen, Violine
Francis Mourey, Cello