Back to the Roots lautet gewissermaßen das Motto des neuesten Rolling Stones Albums, mit dem die Altrocker ins Gefilde des Blues zurückkehren, dem Jagger, Richard und Jones, damals zusammen mit Dick Taylor am Bass und Ian Stuart am Piano, zum Zeitpunkt des Debuts der Band am 12. Juli 1962 hingebungsvoll huldigten, die länger überlebt hat die meisten der Bluessongwriter, wie etwa Triebfedern des Chicago Blues Muddy Waters und Howlin’ Wolf. Vierundfünfzig Jahre später fanden sich die Rolling Stones in ihrer aktuellen Besetzung im Studio zusammen, um sich drei Tage lang der blanken Blues Nostalgie hinzugeben. Heraus kam das erste vollständige gecoverte Chicago-Blues-Album der langlebigsten Rockband des Planeten. Die Gerüchteküche will wissen, dass die Songs des neuen Albums ursprünglich nicht zur Veröffentlichung, sondern zum Aufwärmen für ein vorerst nicht erscheinendes Album bestimmt waren. Ob das nun stimmt oder nicht, darf man getrost davon ausgehen, dass die Rolling Stones den Chicago Blues in ihren Genen haben, so dass es Ihnen nicht allzu schwergefallen sein dürfte, die 12 Songs des neuen Albums, ihrem ersten seit elf Jahren, in kurzer Zeit einzuspielen. Und das Ergebnis kann sich sehen lassen. Mehr noch, die Fans der Old Boy Group dürften angesichts von Blue and Lonesome laut vernehmbar aufatmen, haben wir es hier doch nicht mit der langweiligen Business as usual Haltung der Stones zu tun, die in den letzten Jahren, ja Jahrzehnten üblich geworden war. Tatsächlich ist in die neue Produktion deutlich mehr Herzblut und Engagement eingeflossen als zum Beispiel in das letzte Album oder in den trotz allem ausverkauften Live-Shows, die die vorrangig die Botschaft transportiert hatten, es gibt uns noch und Mick Jagger kann immer noch wie ein Zwanzigjähriger mit seiner Gitarre voran, wie ein wild gewordener Derwisch quer über die Bühne rasen, was für einen über Siebzigjährigen allerdings schon eine reife Leistung ist.
Von langweiliger Routine kann im Fall des neuen Albums keine Rede sein und man darf wohl davon ausgehen, dass Jagger im Studio relativ standfest agiert hat. Tatsächlich dürften die Jungs eine Menge Spaß an der Produktion gehabt haben, wie etwa im Fall von auf rockigen Gitarrenriffs daherkommenden „Midnight Rambler“, kräftig gewürzt mit Jaggers herzhaft in die Runde geschmetterten schrägen Harmonika-Beiträge. Anstelle glatt gebürsteter, in sich gekehrter Bluesseligkeit widmen sich die Stones unverzärtelt der rauen Schale des Blues. Extra rau geht es im Fall von „Commit a Crime“, ein Howlin‘ Wolf Klassiker zu, einem Blues, der von Mick Jagger vokal gewalttätig in seine Bestandteile zerlegt wird. Übrigens: Eric Clapton lässt sich mit seiner Gitarre auf zwei Songs vernehmen, unterstützt also aktiv die n sich schon starke Rock-Gitarrenfront der Stones.
Wenn das zum selben Anlass produzierte, bislang namenlose Album, das sicherlich kein Bluesalbum sein wird, auch nur annähernd so lebendig und authentisch ausfallen wird wie Blue und Lonesome, können die Fans den nächsten zehn Jahren mit den unsterblichen Rolling Stones, die es zumindest im Studio offenbar noch draufhaben, entspannt entgegensehen.
Mick Jagger, Gesang, Harmonika
Keith Richards, Gitarre, Gesang
Ronnie Wood, Gitarre
Charlie Watts, Schlagzeug
Zusätzliche Musiker:
Eric Clapton, Gitarre "Everybody Knows About My Good Thing" and "I Can't Quit You Baby"
Matt Clifford, Keyboards
Chuck Leavell, Keyboards
Darryl Jones, Bass
Jim Keltner, Percussion on "Hoo Doo Blues"