Eigentlich ist der in Hamburg gebürtige Brahms mit seinen durchweg hochromantischen Kompositionen ja wie gemacht für die Deutsche Seele und damit eine Steilvorlage für Interpreten aus dem deutschsprachigen Raum. Dass es sich hier um ein reines Vorurteil handelt, davon künden auf sinfonischem Gebiet südliche Sonne und Temperament mit Ernsthaftigkeit überzeugend verschmelzende Aufnahmen aus den vierziger und fünfziger Jahren der dirigierenden italienischen Maestros Victor de Sabata (4. Sinfonie mit den Berliner Philharmonikern) und Arturo Toscanini, der uns staunenden Nachgeborenen Aufnahmen sämtlicher Brahms-Sinfonien mit seinem NBC-Orchestra und in einer berühmten späten Liveaufnahme mit dem London Philharmonic Orchestra hinterlassen hat. Arturo Benedetti Michelangeli war ein nicht minder überzeugender Brahmsinterpret auf dem Klavier. Warum also sollen Spanier nicht ebenso kongeniale Interpreten Brahmscher Kammermusik sein?
Den Nachweis, dass unter südlicher Sonne auch Brahmsche Kammermusik bestens gedeiht und konkurrenzfähig ist, wollen im Falle des brandneuen Albums „The Brahms Project“ vier junge Spanier anhand sämtlicher Klavierquartette des Hamburger Komponisten erbringen, die sich speziell für diesen Zweck als Ensemble zusammengeschlossen haben. Wenn sie nicht zusammen musizieren, gehen die vier Spanier, der Pianist Enrique Bagaría, der Geiger Josep Colomém, der Bratschist Joaquín Riquelme und der Cellist David Apellániz ihre eigenen musikalischen Wege als Solisten und als Mitglieder von Sinfonieorchestern und anderen Kammermusikvereinigungen als die Quartettvereinigung, zu der sie sich auf diesem Album zusammengefunden haben.
„The Complete Piano Quartets“ umfassen sämtliche drei in drei unterschiedlichen Lebensabschnitten des Komponisten entstandene Klavierquartette. Das erste Quartett op. 25 des einunddreißig jährigen Brahms erlebte seine Erstaufführung 1861 in Hamburg mit keiner geringeren als Clara Schumann am Klavier und Joseph Joachim an der Geige. Beinahe schon ein Gassenhauer, jedenfalls aber eines der ungewöhnlichsten und erfolgreichsten Kammermusikstücke nicht nur der Romantik ist der letzte Satz des ersten Klavierquartetts, das Rondo alla Zingarese, dem die vier Spanier nicht nur den angemessenen Schwung verleihen, sondern auch eine feine Delikatesse angedeihen lassen, die das Rondo über die musikalische Lebendigkeit hinaus veredelt.
Obwohl das zweite Klavierquartett op. 22 gerade einmal ein Jahr nach dem ersten Quartet entstand, fällt es doch in einen völlig anderen Lebensabschnitt des Komponisten, der nunmehr nach Wien übergesiedelt war, wo er sich mit Josef Hellmesberger, der den dortigen Philharmonikern vorstand und als Geiger im eigenen Quartett aktiv war. Mitglieder des Hellmesberger Quartetts übernahmen denn auch die Streicherpartien bei der überaus erfolgreichen Premiere des zweiten Klavierquartetts, bei der Johannes Brahms selber als Pianist auftrat. Dieses Quartett, das stellenweise von Schumann und Schubert beeinflusst ist, erfährt mit seiner ungewöhnlichen Dauer von 50 Minuten in der mitunter schon sinfonischen, jedoch stets hell durchsichtigen Gestaltung des spanischen Quartetts das ihm im Rahmen des Quartettgesamtwerks von Brahms zustehende Gewicht.
Das dritte Klavierquartett op. 60 wurde 1875 vollendet. Seine ersten beiden Sätze blieben jedoch 20 Jahre in der Schublade liegen, bis Brahms den Mut fand, das Werk 1875 zu vervollständigen. Grund waren seelische Wirrungen durch die Beziehung zu Clara Schumann, in die Brahms unglücklich verliebt, und mit deren Ehemann er befreundet war. Die ersten beiden Sätze des op. 60 vermitteln denn auch eindringlich die wirre Gefühlslage des in einem Dreiecksverhältnis gefangenen Brahms, während die später hinzukomponierten Sätze das Dilemma unter anderem unter Bezug auf Beethovens Schicksalssinfonie verarbeiten. Ohne ins Sentimentale zu verfallen vermitteln die vier Spanier die im dritten Brahms-Klavierquartett auskomponierten Seelenqualen eindrucksvoll und zeigen in den beiden nachkomponierten Sätzen nicht minder beeindruckend die Überhöhung des zurückliegenden Leids in einen Sieg über das Leid auf.
Produziert wurde das Album „The Brahms Project“ im Format DSD256 (11.289MHz). Als Download verfügbar ist es neben DSD in den Formaten MQA, FLAC 96 und FLAC 192. Basierend auf Neumann U89i and Schoeps Mikrofonen gelang dem Aufnahmeingenieur eine das überaus dynamische Spiel der Musiker überzeugend darstellende, durchsichtige, fein strukturierte Aufnahme, die die drei Streicher und das Klavier (Steinway & Sons) in einen Klangraum mit geradezu idealer Akustik einbindet.
Josep Colomé, Violine
Joaquín Riquelme, Viola
David Apellániz, Cello
Enrique Bagaría, Klavier