Das Mito Chamber Orchestra (MCO) ist in der japanischen Stadt Mito, Verwaltungssitz der Präfektur Ibaraki, etwa 140 Kilometer nordöstlich von Tokio beheimatet. Dort bespielt das MCO als Hausorchester den 680 Besucher aufnehmenden Konzertsaal im Art Tower (ATM), einem futuristisch anmutenden Gebilde, dessen Fassade aus stählernen Tetraedern sich in Form einer Helix 100 Meter in die Höhe schraubt. Die Akustik des Konzertsaals hat derselbe Yasuhisa Toyota zu verantworten, der der erst jüngst eröffneten Elbphilharmonie in Hamburg seinen akustischen Fingerabdruck aufgeprägt hat. Die grundsätzlich schlanke und durchsichtige Saalakustik des Großen Konzertsaals der Elbphilharmonie findet man ausweislich des vorliegenden Albums auch im Konzertsaal des ATM.
Das MCO umfasst 26 überwiegend japanische Musiker, die über die gesamte Welt verstreut muszierend sich zu den nicht allzu zahlreichen Konzerten im ATM versammeln. Als Generaldirektor und gelegentlicher Dirigent dient dem Orchester der renommierte Seiji Ozawa, dem ehemals langjährigen Chef des Boston Symphony Orchestra, der nach längerer krankheitsbedingter Abwesenheit vom internationalen Konzertbetrieb im zarten Alter von 80 Jahren den Taktstock erneut ergriffen hat, um mit ausgewählten Ensembles erfolgreich zu demonstrieren, dass das achtzigste Lebensjahrzehnt für Dirigenten quasi ein zweiter Frühling ist. Von der musizierenden und musikalischen Lebenserfahrung des im besten Sinne altersreifen Seiji Ozawa profitiert das philharmonisch besetzte, japanische Saito Kinen Orchester ebenso wie das kleine, aber feine MOC.
Dieses Album dokumentiert ein Lifekonzert. Dieser Tatsache haben wir wohl auch die ziemlich unübliche, wenn nicht gar einzigartige Kombination des Mozart-Klarinettenkonzerts mit der Schicksalssinfonie Beethovens auf einem Tonträger zu verdanken. Jedenfalls könnte die musikalische Stimmungslage nicht unterschiedlicher ausfallen als bei dieser Mozart-Beethoven-Konfrontation. Dass dieses Wechselbad letztlich jedoch ausgesprochen attraktiv ist, verdankt man dem Solisten ebenso wie der kammermusikalische Besetzung und spannenden Interpretation von Beethovens Fünfter, die durch die Klanggewalt sinfonischer Aufführungen gerne zu Tode geritten wird. Nebenstimmen und Instrumentierung jedenfalls gehen bei riesiger oder gar überdimensionierter Besetzung gerne unter. Nicht so in der vom MCO präsentierten kammermusikalischen Gestalt, dessen minimale Streicherbesetzung dem Bläserchor der ihm gebührenden Stellung zukommen lässt. Übrigens dürfte sich die Besetzung des Kammerorchesters mit 26 Musikern ausschließlich auf die Streicher beziehen, falls die Aufnahmetechnik nicht getrickst hat, was im Falle einer Life-Aufführung allerdings ungewöhnlich wäre. Die geringe Nachhallzeit des Konzertsaals, gerade eben jenseits trockener Studioakustik fördert die enorme Durchhörbarkeit der Komposition und sorgt außerdem dafür, dass der Hörer auch in Fortissimopassagen nicht die Übersicht über die Instrumentierung verliert. Diese jugendlich frisch daherkommende, von Ozawa bis ins kleinste Detail sorgfältig gestaltete Fünfte nimmt im schier unübersichtlichen Dschungel der seit mehr als 100 Jahren aufgelaufenen Aufnahmen, deren erste von keinem Geringeren als Arthur Nikisch stammt, eine Spitzenposition ein. Der ungezügelte emphatische Applaus des an sich eher zivilisierten, zurückhaltenden japanische Publikums hat seine Berechtigung.
Für das Mozartkonzert wurde der lange Jahre als erster Klarinettist des Philadelphia Orchestra äußerst erfolgreich tätige und heute vorwiegend als Lehrer an der Juilliard School und dem Curtis Institute aktive Ricardo Morales gewonnen, der dem japanischen Publikum auch als Solist des Saito Kinen Orchesters bekannt ist. Die Tonerzeugung und das Legatospiel des Klarinettisten sind überirdisch und gestatten ihm, die Solistenstimme der mozartischen Komposition in den Ecksätzen jubeln und in allen Farben leuchten zu lassen. Die brillant eingestellte Akustik des Konzertsaals des Mito Art Towers setzt der Darbietung des Klarinettisten das i-Tüpfelchen auf. Der langsame Satz des Konzerts, der dem Filmepos Jenseits von Afrika seine tieftraurige Aura verleiht, spiegelt in der Interpretation von Ricardo Morales dank tröstender Grundstimmung eher morbide Schönheit als tiefe Traurigkeit wieder, und vermittelt so eher die optimistische christliche Botschaft, dass mit dem Tod nicht alles zu Ende geht.
Dieser tontechnisch erstklassige Download sei allen ans Herz gelegt, die in der Musik von Mozart wohnende tiefe Wahrheit zu schätzen wissen, und die an einem tiefen Einblick in die Struktur von Beethovens Schicksalssinfonie interessiert sind.
Ricardo Morales, Klarinette
Mito Chamber Orchestra
Seiji Ozawa, Dirigent