Würde Sie heute leben und wirken, wäre Clara Schumann der pianistische Superstar mit maßgeschneiderter Wunderkind -Vergangenheit und dem heute komplett unüblichen Bonus einer ernsthaften Komponistin. Nicht genug damit würde Sie, Partnerin und Muse zeitgenössischer Komponisten und Mutter von acht Kindern sowie später als Alleinerziehende regelmäßig für Schlagzeilen in der Presse sorgen. Aber auch zu ihrer Zeit war Clara Schumann, geborene Wieck als Pianistin eine Berühmtheit. Als Ehegesponst des früh kränkelnden Robert Schumann kam ihre Laufbahn als Pianistin angesichts zahlreicher Schwangerschaften in ihrem dritten Lebensjahrzehnt zum Erliegen und für das Komponieren blieb ihr nicht genügend Zeit. Man kann also nur spekulieren, zu welcher kompositorischer Meisterschaft es Clara unter anderen Umständen gebracht hätte. Wohin die Reise hätte gehen können, davon kündet das Album Obsidian, mit dem der Pianistin Mika Sasaki eine Ehrenrettung der Komponistin Clara Schumann gelingt. Frühere Versuche, ihre Kompositionen interpretierend ins rechte Licht zu setzen scheiterten zumeist an der pianistischen Kompetenz der Interpreten oder an deren Glauben an die Aussagekraft der Kompositionen. Fast scheint es also ob die früheren Bemühungen das sich hartnäckige haltende Vorurteil „Natürlich bleibt es immer Frauenzimmerarbeit, bei der es […] an der Kraft und hie und da an der Erfindung fehlt“ nicht überwinden konnten. Von diesem Vorurteil hat sich Mika Sasaki offenbar erfolgreich befreit oder gar nicht erst einschüchtern lassen. Jedenfalls präsentiert sie uns eine Auswahl von Clara Schumanns Werken für Klavier mit aller gebotenen Ernsthaftigkeit und ungebremster Virtuosität. Zum überaus gelungenen Eindruck des Albums trägt die Aufnahmetechnik entscheidend bei, die den Steinway extrem trocken eingefangen hat und ihn dadurch quasi in die private Atmosphäre eines von wenigen Zuhörern besetzten Salons stellt. Diese Atmosphäre korrespondiert optimal mit den meist intimen Kompositionen auf dem Album Obsidian, die jedenfalls nicht in den großen Konzertsaal gehören.
Die physische Nähe zu Robert Schumann und die seelische Nähe zu Frédéric Chopin schlägt sich in dem einen und anderen der Klavierstücke mehr oder weniger deutlich nieder. So steht gleich das erste Stück des Albums, das Scherzo in c-Moll im Zeichen Chopins, während durch die beiden Variationenzyklen über jeweils ein Thema von Robert Schumanns immer wieder dessen Davidsbündler toben, gegen deren Einfluss höchst individuelle Clara Schumann Einfälle stehen. Niemals jedoch haben wir es mit Plagiaten von Kompositionen Chopins oder Robert Schumanns zu tun. Vielmehr ließ sich Clara Schumann von deren Werken mehr oder weniger stark inspirieren, was nicht Wunder nimmt, gehörten Chopins Werke doch zum Repertoire der Konzertpianistin Clara Schumann, die andererseits das Entstehen von Kompositionen Ihres Ehemanns hautnah miterlebte und sicherlich nicht selten als erste zur Aufführung brachte. Das formt unvermeidlich das eigene Schaffen. So atmen etwa in den Préludes und Fugen Op. 16 die Préludes den herben Duft der Préludes Chopins, während die Fugen den Fugen J.S. Bachs, dem Kompositeur von Präludien und Fugen schlechthin recht nahestehen.
In den drei Romanzen Op. 22, entzückende Miniaturen für Violine und Klavier, ist Petteri Livonen, ein offenbar famoser Geiger, Partner von Mika Sasaki. Bevor das Album mit dem Notturno aus den Soirées musicales Op.6, eine Reminiszenz an Robert Schumanns Noveletten wunderbar unaufgeregt ausklingt meldet sich Max Grafe mit seiner zehnminütigen emotionsgeladenen, dramatisch gestimmten Obsidian Liturgy zu Wort, die er für Mika Sasaki anlässlich des 120. bzw. 160. Geburtstags von Clara und Robert Schumann im Jahr 2016 komponiert hat.
Obsidian ist ein ganz großartiges Album, das Clara Schumann als Komponistin in bislang einmaliger Weise ernst nimmt, und dem erstaunten Hörer durch diese Ernsthaftigkeit eine künstlerische Persönlichkeit näherbringt, die es verdient hat, ihrer Nachwelt als mehr als ein pianistischer Superstar des neunzehnten Jahrhunderts und Ehefrau Robert Schumanns im Gedächtnis zu bleiben.
Mika Sasaki, Klavier
Petteri Iivonen, Violine