Es ist erstaunlich, dass Decca für das Debüt-Solo-Album einer jungen Sängerin gleich ein ganz großes Geschütz auffährt in Gestalt des langjährigen Dirigenten des Los Angeles Philharmonia Orchestra Esa- Pekka Salonen und seit bereits 11 Jahren Chefdirigent des in London ansässigen Philharmonia Orchestra, das Anfang der 50er Jahre von Walter Legge als reines Schallplattenorchester gegründet wurde und mit dem Otto Klemperer im Spätherbst seiner Karriere seine berühmten EMI-Aufnahmen produzieren ließ. Ein derart großer Aufriss ist angesichts der zahlreichen als kommende Stars gehypten jungen Sängerinnen und Sängern entweder ein Zeichen, dass die Plattenfirma allergrößte Stücke von Lise Davidson als Künstlerin hält, oder dass der vom berühmten Dirigent und vom nicht minder berühmten Orchester ausgehende Glanz eine mittelmäßige Leistung der Solistin überdecken soll, was so selten nicht vorkommt. Dass Erstes ganz offensichtlich zutrifft, wird spätestens klar, sobald man das Debütalbum staunend ob der künstlerischen Reife und sängerischen Bravour der 32-jährigen Sängerin zur Kenntnis genommen hat.
Die Norwegerin Lisa Davidson verfügt über einem lyrisch dramatischen Sopran, der ausweislich ihres Solodebüt-Albums über eine seltene Strahlkraft verfügt, die nicht zuletzt für ihr jugendliches Alter außergewöhnlich ist und an die skandinavischen Ausnahmesängerinnen Birgit Nilsson und Kirsten Flagstad erinnert. Für Ihr Album fiel die Wahl auf sängerische Höchstleistungen und starkes Ausdrucksvermögen erforderliche Kompositionen von Richard Wagner und Richard Straus. Mit welch scheinbarer Leichtigkeit Lisa Davidsohn das für beide Komponisten charakteristisch stark besetzte Orchester selbst im Fortissimo zu übertönen vermag ist atemberaubend. Selbst Verächter der Strauss- und Wagnerkompositionen kommen nicht umhin, fasziniert zu sein von der Durchsetzungskraft und schieren Strahlkraft dieses Soprans, deren Kehle sich zur Posaune von Jericho wandelt, wenn es darum geht, den gesungenen Text für Gesang und Orchester in voller Lautstärke zu präsentieren. Den Gegenpol dieses extremer Lautstärke mächtigen Soprans bildet die zarte Klangbildung und lyrische Stimmführung bei leiseren und ganz leisen Partien, in denen die Substanz und potentielle Kraft der Stimme erhalten bleibt. Der Inhalt des neuen Albums ist zur Demonstration der Qualitäten dieser Stimme bestens geeignet. Und auch in Sachen Ausdruckskraft, also Vermittlung des spezifischen Inhalts der Wagner- und Straus-Kompositionen bleibt Lisa Davidson nichts schuldig. Esa- Pekka Salonen und das Philharmonia erweisen sich mit ihrem engagierten Einsatz als ideale Album-Partner für die Sängerin.
Kein Wunder, dass Bayreuth bereits auf die mehrfach preisgekrönte Lisa Davidson aufmerksam wurde. In Bayreuth übernimmt die Sängerin dieses Jahr in der neuen Produktion des Tannhäuser die Rolle der Elisabeth. Danach ist sie als Elisabeth an der Bayerischen Staatsoper und am Opernhaus Zürich zu erleben.
Decca hatte also jeden Grund in Gestalt des Philharmonia Orchestra und seines Chefdirigenten Esa- Pekka Salonen für das Debüt-Solo-Album einer jungen Sängerin gleich ein ganz großes Geschütz aufzufahren. Bleibt nur, Lisa Davidson für Ihre zukünftiger Karriere als Sängerin alles Gute zu wünsch, einschließlich einer professionellen Beratung, die darauf achtet, dass Ihr famoses Stimm-Material die Belastung durch Wagner, Strauss und Konsorten möglichst lange unbeschadet überlebt.
Lise Davidsen, Sopran
Philharmonia Orchestra
Esa-Pekka Salonen, Dirigent