Die “10” dürfte aktuell so etwas wie eine magische Zahl für das historisch informierte Ensemble La Ritirata sein, das in diesem Jahr zehnjährigen Geburtstag feiert und das mit Neapolitan Concertos for Various Instruments sein zehntes Album veröffentlicht. Das in Madrid beheimatete Ensemble, das in Fernost ebenso erfolgreich auftritt wie im heimatlichen Spanien und in anderen europäischen Ländern, steht unter der Leitung des Cellisten Josetxu Obregon, dem Gründer von La Ritirata, der unter anderen Schüler von Anner Bylsama war, der heute am Real Conservatorio Superior in Madrid selber unterrichtet, und der solistisch mit verschiedenen europäischen Orchestern der Altemusikszene einschließlich Le Concert des Nations (Jordi Savall) unterwegs war und ist. La Ritirata besteht vorwiegend aus historisch informierten und auf Barockmusik spezialisierten Musikern der jüngeren und jüngsten Generation. Als Solisten sind auf dem neuen Album so renommierte Musiker wie der Violinist Hiro Kurosaki, der Flötist Tamar Lalo, die Cembalisten Ignacio Prego and Daniel Oyarzabalnd und Josetxu Obregon am Cello zu hören.
Zu den Exponenten des neapolitanischen Barocks der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts gehören die uns heute noch geläufigen Komponisten Giovanni Battista Pergolesi and Alessandro Scarlatti, aber auch Francesco Mancini, Nicola Porpora und Nicola Fiorenza, die sämtliche auf dem neuen La Ritirata Album mit eigenen und wie zu hören eigenständigen Konzerten zu Wort kommen. Der Muszierstil dieser Neapolitaner ist weitgehend eigenständig und er unterscheidet sich in der Regel stark vom Stil der Venezianer, wie etwa Antonio Vivaldi. Da die Musik der Neapolitaner für heutige Hörer weniger geläufig ist als die Musik der Venezianer, ist das neue La Ritirata Album ganz besonders willkommen.
Die von La Ritirata klangstark zum Blühen gebrachte enorme Farbigkeit und die erstaunliche Individualität der sechs Konzerte macht die Beschäftigung mit diesem Album für den Hörer zum spannenden Abenteuer. Das Violinkonzert in D-Dur von Nicola Fiorenza besticht mit seinem aufbrausenden Gestus, der enormen technischen Anforderung an die Solovioline, einschließlich haarsträubenden Doppelgriffen, extrem hohen Lagen und irrwitzigen Trillern. Einen Gegenpol hierzu bildet Scarlattis Flötenkonzert in C-Dur, dessen hoher künstlerischer Anspruch in einer meisterhaften Beherrschung des Kontrapunkts, einem gehobenen Stil und einer maßvollen Expressivität zum Ausdruck kommt. Die Flöte behandelt Francesco Mancini, der in erster Linie für seine Opern bekannt war, in seinem Konzert in g-Moll ähnlich sorgsam wie einen Opernsänger, der vom begleitenden Orchester tunlichst nicht zugedeckt werden darf. Vorrangig mit der Komposition von Opern befasst war auch Antonio Porpora, der als Konzertkomponist die spezielle Idiomatik der Neapolitaner in unverwechselbarer Weise zum Ausdruck brachte, wie im Konzert für Violoncello, Violinen und Basso Continuo nachzuhören. Giovanni Battista Pergolesi, vor allem bekannt als Urheber der Oper La serva padrona und eines nach wie vor aufgeführten Stabat Mater steuert auf dem La Ritirata Album ein Konzert für zwei Cembali und Streicher bei, das beide Tasteninstrumente gleichwertig einsetzt, ohne jedoch einen Wettstreit zwischen ihnen zuzulassen. Stattdessen agieren die Cembali vorwiegend im Wechsel und verschränken ihre Melodielinien lediglich im langsamen Satz. Das ist für heutige Hörer ziemlich ungewohnt, sorgt jedoch stets für optimale Durchhörbarkeit der Komposition.
Das Ensemble La Ritirata, das zusammen mit den vorzüglichen Solisten für eine hochgradig spannende Präsentation der Konzerte neapolitanischer Barockkomponisten sorgt, reiht sich mit ihrem zehnten Album endgültig in die Phalanx internationaler Spitzensembles für Alte Musik ein.
La Ritirata
Josetxu Obregón, Dirigent