Kammerorchestern haftet angesichts üppig besetzter Sinfonieorchester ein wenig der Geruch des Sinfonieorchesters für den armen Mann an. Zumindest aus dem Blickwinkel des Konzertbesuchers philharmonischer Großereignisse verhält sich das Sinfonieorchester zum Kammerorchester wie ein Dreisterne-Tempel zur Würstchenbude. Wer allerdings das Glück hat, in einer Gemeinde zu leben, wie München oder Bremen, um nur zwei Standorte eines Kammerorchesters mit allerbestem Ruf zu nennen, weiß, was er an der „Würstchenbude“ im Vergleich zum „Dreisterne-Tempel hat, nämlich ein lebendiges, hochgradig engagiertes Ensemble hervorragender Musiker, die in der Lage sind, ihrem begeisterten Publikum geradezu unglaublich flexibel sämtliche Musikstile von der Alten bis zur neuen Musik in einer interpretatorischen Qualität zu präsentieren, die manches der hochgejubelten Sinfonieorchester ganz schön alt aussehen lässt. Und hat man sinfonisches Repertoire von Haydn, Mozart und Beethoven bis hin zu Brahms erst einmal kompetent in Kammerorchesterbesetzung gehört, führt ohnehin nahezu kein Weg mehr zurück zur fetten und gerne auch eher behäbigen Gangart des Sinfonieorchesters.
Dass auch die Schweiz Kammerorchester von internationalem Ruf beherbergt, wie etwa die Kammerorchester aus Zürich, aus Lausanne und aus Basel, hat sich dank CD-Veröffentlichungen vor allem der letzten zwei genannten Orchester bereits herumgesprochen. Das 1984 von Absolventen verschiedener Schweizer Musikhochschulen gegründete Kammerorchester Basel, dessen Vorläufer das von Paul Sacher zu Weltruhm geführte Basler Kammerorchester war, und das alte Musik auf Barockinstrumenten spielt, verzichtet auf einen festen Chefdirigenten. Aktuell steht das Orchester unter der Leitung seiner in eine niederbayrische Musikerfamilie geborenen Konzertmeisterin Julia Schröder, die auf dem Album Bologna 1666 auch als Solistin tätig ist.
Anlass zur Produktion dieses Albums war das 350. Gründungsjahr der Accademia Filarmonica mit Sitz in der Hauptstadt der Region Emilia-Romagna. Wie in zahlreichen anderen italienischen Städten wurde während der Barockepoche in Bologna zu allen möglichen höfischen Anlässen Musik vor allem in der Basilika San Petronio nicht nur von einem eigenen professionellen Orchester aufgeführt, sondern auch innerhalb der Stadtmauern komponiert. Die Namen der Bologneser Barock-Komponisten, wie etwa Giuseppe Torelli, Girolamo Nicolò Laurenti, Giacomo Antonio Perti, Lorenzo Gaetano Zavateri, sind heutzutage mehr oder weniger nur noch Spezialisten der Barockmusik ein Begriff. Dass dies nichts, aber schon gar nichts mit der Qualität dieser Kompositionen zu tun hat, davon kündet das Album Bologna 1666 geradezu triumphal, vor allem anhand solch origineller Würfe wie dem von der Solistin virtuos in Szene gesetzten Violinkonzert von Giuseppe Torelli und den Sinfonien zu Messen und Oratorien von Giovanni Paolo Colonna und Giacomo Antonio Perti. Auch die weniger originellen, weil an Corelli und Vivaldi angelehnten Kompositionen bestechen in der von Spiellaune geradezu strotzenden Darstellung des Kammerorchesters aus Basel mit enormer Frische und Lebendigkeit, die südliche Lebensfreude farbenfroh wiederspiegelt.
Ganz selten begegnet man einem Album, das ähnlich grandioses Musizieren aller Beteiligter mit einer luziden Aufnahmetechnik kombiniert, die den Hörer im Format eines hoch aufgelösten Downloads schlicht sprachlos vor Begeisterung zurücklässt. Wer nach dem Genuss dieses Albums weiterhin der Meinung sein sollte, dass Kammerorchester des armen Mannes Sinfonieorchester ist, dem ist wahrlich nicht zu helfen.
Ewa Miribung, Violine
Kammerorchester Basel
Julia Schröder, Violine, Dirigent