Immanuel Wilkins – Omega

Review Immanuel Wilkins – Omega

Mit seinem zweite Album greift der der 22-jährige Altsaxophonist und Komponist Immanuel Wilkins das gesellschaftlichen drängendste, seit unzähligen Jahren schwelende Anliegen seiner schwarzen US-Mitbürger auf, das sich nach den unglaublich brutalen Morden an unbewaffneten Schwarzen in den letzten Monaten, an George Floyd, Breonna Taylor und Ahmaud Arbery durch Polizisten in der Black Lives Matter Bewegung in einer von der Regierung mitzuverantwortenden Stimmung gewalttätig entlädt. Zwar entstand Omega vor dem aktuellen Anlass, dem feigen Mord an George Floyd, der die Black Lives Matter Bewegung ausgelöst hat, die weltweit auf Resonanz gestoßen ist. Da die hassbasierten Angriffe auf die schwarze US-Bevölkerung für einen nationalistischen Teil der der weißen US-Bevölkerung beinahe schon zur Folklore gehört, gab es eben auch schon vor hundert Jahren entsprechende Übergriffe, wie etwa der unsägliche, feige Lynchmord an der schwangeren Mary Turner und ihrem ungeborenen Kind, dem Immanuel Wilkings auf Omega den Titel „Mary Turner - An American Tradition“ gewidmet hat, der durch seine den Lynchvorgang balladenhaft nachvollziehende Komposition auch ohne Worte den Hörer zutiefst bewegt. Dasselbe gilt für den Mord am unbewaffneten schwarzen Teenager Mike Brown Jr., der in Omega ebenfalls seinen Wiederhall findet mit „Ferguson - Eine amerikanische Tradition“. Dieser Titel erfasst den Pulsschlag der Bevölkerung im Jahr 2014 erfasst, als Mike Brown Jr. von dem Polizeibeamten Darren Wilson in Ferguson, MO, erschossen wurde. Wilson wurde nicht angeklagt, was die Wut der Gemeinde anheizte. Wilkins erzählt die Geschichte in umgekehrter Richtung mit den elegischen Momenten, die der Aufruhrstimmung nach den ersten Schüssen vorausgingen. Das Stück wird intensiver, wenn es sich mit dem Dialog von Klavier und Schlagzeug entfaltet, der eine Revolution orchestrieren soll.

Sich mit diesem die US-Bevölkerung zwischenzeitlich ins Mark treffende Thema auf einem Album zu befassen, kündet von einer tiefgreifenden Politisierung dieses Grundübels des angeblich freiesten Landes dieses Planeten und auch davon, dass die Musiker des Quartetts, das Omega gestaltet hat, die Notwendigkeit erkannt haben, das Thema über das Medium Jazz abzuhandeln und zu verbreiten. Neben Immanuel Wilkins bilden der Pianist Micah Thomas, der Kontrabassist Daryl Johns und der Schlagzeuger Kweku Sumbry, allesamt ähnlich junge Musiker allererster Güte wie Wilkins selbst, das Quartett, das nun bereits seit einigen Jahren aktiv ist und zwischenzeitlich eine unglaublich perfekte Einheit bilden.

Das musikalische Zentrum von Omega bildet eine von Immanuel Wilkins während seiner Ausbildung an der Juilliard School, New York 2013 komponierte vierteilige, 20 Minuten dauernde Suite mit den Titeln „The Key“, „Saudate“, „Eulogie“ und „Guarded Heart“. „The Key“ führt in kontemplativer Gangart in die Suite ein, über auf das über Soli der Musiker mäandrierende „Saudate“. Hauptperson ist hier der Saxophonist, der den Titel zum Höhepunkt führt. Der melodisch sanft eingeleitete und im Solo des Schlagzeigers ausmündende Titel „Eulogie“ nimmt im weiteren Verlauf durch vollen Einsatz des Pianisten Fahrt auf, um schließlich in ein explosives Solo des Saxofonisten zu gipfeln. "Guarded Heart" wird vom Schlagzeuger mit einem wilden Trommelwirbel eingeleitet, der ein stürmisches Solo des Saxophonisten auslöst, an das sich der Rest des Quartetts mitreißend improvisierend einmischt.

Omega ist ein Album mit kraftvoller, emotional aufgeladener Musik, abgeliefert von einem Quartett, das auf einem unglaublich hohen Niveau musiziert und den Hörer von Titel zu Titel unvermeidlich mitreißt.

Immanuel Wilkins, Altsaxofon
Micah Thomas, Klavier
Daryl Johns, Kontrabass
Kweku Sumbry, Schlagzeug

Immanuel Wilkins – Omega

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