Paris ist das erste Album der US-amerikanischen Geigerin Hillary Hahn nach einem einjährigen Sabbatical. Ihre Einordnung als “Ausnahmegeigerin” entspricht bereits recht abgenutztem Promotion-Hype, jedoch mit dem Unterschied, dass im Vergleich zu so mancher jungen, als Ausnahmegeigerin gehandelten Geigerin, ihre Einordnung trotz Promotion-Hype gerechtfertigt ist.
Hillary Hahn demonstriert auf dem Album Paris unterstützt von der Pariser Radiophilharmonie unter ihrem Chefdirigenten Mikko Franck eindrucksvoll, dass ihr Geigenspiel emotionale Präzision und Spannweite, musikalisches Gespür und technische Finesse vereint, was jede der drei so unterschiedlichen Kompositionen auf dem Album Paris demonstriert, von denen lediglich das Poème für Violine und Orchester von einem Pariser Komponisten, von Ernest Chausson stammt. Gekennzeichnet sind Chaussons Kompositionen durch eine melancholische Grundstimmung und eine Vorliebe für weit ausgesponnene Melodiebögen. So auch sein bekannteste Komposition, das Poème für Violine und Orchester, für das das Orchester unter Mikko Franck einen lyrisch verträumten, immer wieder hell aufleuchtenden erdigen Sound bereitstellt, auf dem Hillary Hahn lange, lückenlos aneinandergefügte Melodien mit mysteriös funkelnden Trillern auf Grundlage eines prächtigen Tons entwickelt, die scheinbar mühelos gespielte Doppelgriffe strukturieren.
Den zentralen Schwerpunkt des Albums bildet das erste Violinkonzert von Sergej Prokofjew, das zwischen der der russischen Februar- und der Oktoberrevolution entstand, die zur Gründung der Sowjetunion führte. Die Lyrik des Konzerts gestalten Hillary Hahn und das Pariser Orchester überzeugend und mit angemessener Eleganz. Im Eröffnungssatz brilliert Hillary Hahn selbst in leisen Passagen mit schier unglaublicher Athletik, die im Scherzo muskulös ihren Höhepunkt erreicht, um im Schlusssatz unter perfekter Assistenz des Orchesters tiefer Gelassenheit Platz zu machen.
Das letzte Werk des Albums Deux Sérénades stammt vom finnische Komponisten Einojuhani Rautavaara, der die beiden Serenaden Hillary Hahn gewidmet hat, die diese 2019 zur Uraufführung gebracht hat. Die langjährige Beschäftigung der Geigerin mit Werken des 2016 verstorbenen finnischen Komponisten resultiert in einer Interpretation der Deux Sérénades, die die große Schlichtheit und Klangschönheit des Werks ins allerbeste Licht setzt.
Hilary Hahn festigt mit dem Album Paris ihre Position im Olymp der aktuell allerbesten Geigerinnen. Ganz nebenbei demonstriert sie eindrucksvoll, dass das selbstgewählte Sabbatical Ihrer Kunstfertigkeit nicht geschadet hat.
Paris ist ein durchgehend wunderschönes Album auf allerhöchstem geigerischen und insgesamt musikalischen Niveau, das das altzopfert aufgemachte Cover Foto wahrlich nicht verdient hat. Selbst in den als spießig verschrienen 50er Jahren hätte so ein Cover Foto keine Chance gehabt, auf die Hülle einer Voll-Preis LP der seinerzeit als Premium-Label gehandelten DGG Zugang zu finden. Soviel Kitsch leistete sich die DGG damals hin- und wieder allenfalls auf dem Heliodor-Ableger, auf dem vor allem DGG-Originalaufnahmen ihre Zweit- und Drittverwertung erfuhren. Wenn schon zurück, dann bitte in die Zukunft.
Hilary Hahn, Violine
Orchestre Philharmonique de Radio France
Mikko Franck, Dirigent