Gary Peacock – Tangents

Review Gary Peacock – Tangents

Klavier- oder Pianotrios verkörpern so etwas wie die Quintessenz der klassischen Musik. Das gilt im Wesentlichen auch für den Jazz, der dafür allerdings die Besetzung Klavier, Bass und Schlagzeug vorsieht. Die Triobesetzungen mit Oscar Peterson und Bill Evans gelten als Urgesteine dieser Ensemble-Gattung. In neuerer und neuester Zeit gehören die Triobesetzungen mit Keith Jarrett und Esbjörn Svensson zu den Stars dieser Ensemble-Gattung. Neben ihnen tummeln sich auf den Podien der Jazz-Clubs und auf Tonträgern nahezu unzählige weitere Klaviertrios mit mehr oder weniger eigenständigem Sound und mehr oder weniger überzeugendem Konzept. Eigenständigkeit ist jedenfalls ein Markenzeichen des Trios, das sich seit 2014 um den Bassisten Gary Peacock schart, der vorher neben dem Schlagzeuger Jack DeJohnette zur Stammbesetzung des Keith Jarrett Trios gehört hat und der erste Trioerfahrungen Mitte der sechziger Jahre mit Bill Evans gemacht hat. Mit über 65 Jahren Erfahrung in Jazzformationen unterschiedlichster Arten gehört der heute zweiundachtzigjährige Gary Peacock, der als Pianist begann, zur Gattung der weitgehend ausgestorbenen Spezies der Dinosaurier unter den aktiven Jazzmusikern. Im Vergleich zu ihm kann der zwanzig Jahre jüngere Schlagzeuger seines Trios Joey Baron geradezu als Youngster gelten, während der Pianist Marc Copland die mittlere Position in der Alterspyramide des Trios einnimmt. Alle drei Musiker sind gestandene Vertreter des Avantgarde-Jazz mit unverwechselbarem Profil, wovon bereits das 2015 erschienene erste ECM-Album der Gary Peacock Trios „Now This“ kündet. Auch wenn das neue Album im erst dritten Jahr seit Bestehen des Klaviertrios eingespielt worden ist, heißt dies natürlich nicht, dass man sich nicht bereits seit Längerem kennt: Der Pianist und der Schlagzeuger machten gemeinsame Sache auf Abercrobies „Up and Coming“, während Peacock und der Pianist in Trioformationen mit Paul Motian bzw. Bill Stuart am Schlagzeug zugange waren.

Von den insgesamt elf auf “Tangents“ versammelten Stücken verantwortet Peacock fünf, Baron zwei und Copland eines. Ein Stück (“Empty Forest”) ist ein Gemeinschaftswerk der drei. Der Rest stammt von Miles Davis (“Blue in Green”) und Alex North (“Spartacus). Wie sich das für ein Gemeinschaftswerk gehört, ist “Empty Fortest” ein frei improvisierter Mix der unterschiedlichen Kompositionsstile der Triomitglieder. “Rumblin” zeigt klar und deutlich, dass Peacock trotz fortgeschrittenen Alters nicht zum alten Eisen gehört, anderenfalls könnte er sein Solo auf diesem Stück nicht derart unter jugendliches Feuer gesetzt abliefern. Nicht nur „Empty Forest, sondern auch die anderen Stücke auf dem Album „Tangents“ sind wahre Meisterleistungen freier Improvisationskunst, einer Kunst, die von der Lebenserfahrung hochkarätiger Musiker zeugt, und die es wert ist, das Album hinteinerander weg mit steigendem Entzücken gleich mehrmals zu genießen. Das ist ganz großes Kino, das doch einige der aktuellen Trioalben anderer Ensembles ein wenig blass aussehen lässt.

Großes Kino ist auch wieder einmal die Kunst des ECM-Teams, perfekte Aufnahmen zu produzieren, die nicht nur der Leistung der Künstler ins rechte Licht setzt, sondern die diese Leistung durchaus zu überhöhen versteht, wodurch ein musikalisches Gesamtwerk zustande kommt, das stets in seiner Geschlossenheit seinesgleichen sucht. So auch im Falle vom in Lugano aufgenommenen „Tangents“, das vom Meister, von Manfred Eicher himself produziert, und das von Stefano Amerio (RSI Rete due) tontechnisch verantwortet wird.

Gary Peacock, Kontrabass
Marc Copland, Klavier
Joey Baron, Schlagzeug

Gary Peacock – Tangents

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