Was man dem grafisch gelungenen Cover nicht ansieht: Dieses die amerikanisch-europäische Verbundenheit feiernde Album umfasst eine Premiere, nämlich die erste Aufnahme der kritischen Ausgabe von George Gershwins “American in Paris” in Gegenüberstellung zu der bislang üblichen Ausgabe. Die gegenüber der bislang üblichen Ausgabe um 104 Takte längere Ausgabe wurde zwar bereits in den achtziger Jahren eingespielt, jedoch ohne die Korrekturen am Partiturmaterial, die die kritische Ausgabe auszeichnen. Die zusätzlichen Takte finden sich am Schluss der dadurch um zweieinhalb Minuten längeren Partitur und sie ändern den musikalischen Fluss deutlich durch eine geänderte Zusammenführung der verschiedenen Melodielinien. Die in die kritische Ausgabe eingepflegten Korrekturen fallen beim Anhören der Komposition zum Teil nicht weiter auf. Zum anderen Teil jedoch umso stärker: die Saxophonbeiträge sind ausführlicher gestaltet und der bereits bei der Entstehung der Komposition chaotische Pariser Autoverkehr spiegelt sich im Höhepunkt der Komposition nunmehr in einem komplett kakophonen Konzert von Autohupen, deren Stimmung erstmals exakt der Vorgabe Gershwins entspricht.
Das Booklet enthält ein informatives Interview mit Louis Langrée, dem französischen Dirigenten des Albums, dem Orchesterchef des Cincinnati Symphony Orchestra. Unter anderem weist er darauf hin, dass es zu Unrecht üblich geworden ist, den “American in Paris” mit einer ordentlichen Portion “Swing” zu interpretieren, ist dieser doch erst in den vierziger Jahren zur Jazz-Stilmode geworden, und nicht bereits zwanzig Jahre früher als Gershwin diese Komposition geschaffen hat und der Ragtime in war So swingt der “American in Paris” auf diesem Album in beiden dort enthaltenden Versionen deutlich weniger als gewohnt. Dazu kommt, dass Louis Langrée dem französischen Flair in dieser Gershwin-Komposition vorzieht, die gerne als polternder Auftritt eines amerikanischen Cowboys im eleganten Paris gegeben wird, wodurch die Komposition etwas vom Elefanten im Porzellanladen hat. Die elegante Linie, die Louis Langrée dem “American in Paris” angedeihen lässt, ändert den Eindruck, den dieser beim Publikum hinterlässt mindestens so deutlich wie die Korrekturen, die in der kritischen Ausgabe der Komposition enthalten sind.
Das Cincinnati Symphony Orchestra folgt seinem Chef auf den Fuß und erweist sich im Gershwin ebenso wie in den beiden weiteren Orchesterstücken dieses Albums als Ensemble allerersten Güte, das den sogenannten Big Five der USA Orchester in nichts nachsteht. Welche ein Klagrausch, welch eine virtuose Beherrschung der überaus komplexen und mitunter wilden Komposition “Amérique” von Edgar Varèse, die gewissermaßen als “Franzose in America” ein Gegenstück zum “American in Paris§ darstellt, und die eine monstermäßige Orchesterbesetzung erfordert, die mit starkem Dirigentenarm beherrscht werden will. Louis Langrée ist auch dieser Herausforderung gewachsen und erlaubt es seinem formidablen Orchester, in der “Symphony in C” von Igor Strawinsky, seinerseits halb Franzose und halb Amerikaner, sämtlichen Spielwitz einzubringen und solistisch zu brillieren.
Das Album Transatlantic ist auf allen Ebenen, der Auswahl der Stücke, der Interpretation durch den Dirigenten, dem Spiel des Orchesters und dem Informationswert dank der erstmals auf der kritischen Ausgabe basieren Gershwin-Komposition, eine wahre Wucht und ein absolutes Muss für jeden Klassik-Hörer.
Cincinnati Symphony Orchestra
Louis Langrée, Dirigent