Solo-Instrumentalisten, und nicht zuletzt Pianistinnen und Pianisten poppen heutzutage auf internationalen Bühnen auf wie Tulpen, die im frühen Frühjahr mit ihren spitzen Blättern voraus aus der Erde herausbrechen. Und so wie die Blütenbecher der Tulpen dann in den wunderbarsten Farben um die Bewunderung von Betrachtern buhlen, konkurrieren die jungen Tastenlöwen um den Titel des technisch perfektesten Interpreten. Tatsächlich haben heutzutage junge Pianistinnen und Pianisten in Sachen Spieltechnik früheren Pianisten-Generationen regelmäßig einiges voraus. Beeindruckende Gestalter sind jedoch die wenigsten. Zu dieser seltenen oder besser gesagt selten gewordenen Spezies gehört der 31-jährige usbekische Pianist Behzod Abduraimov, der die Welt der Pianisten-Aficionados in den zurückliegenden Jahren vor allem als Solist in Klavierkonzerten ob seines enormen Gestaltungsvermögens zum Staunen gebracht hat, das basierend auf allerhöchster Virtuosität von einem echten Ausnahmekünstler kündet. Seit 2019 ist Behzod Abduraimov vermehrt als Solist in nahezu allen renommierten Konzertsälen der Welt unterwegs. Unter anderem in der berühmten Carnegie Hall, der er der exzellenten Akustik für Solokonzerte wegen ganz besonders zugetan ist, hat er dem New Yorker Publikum eine irrwitzige, weil emotional komplexe Kombination romantischer Kompositionen präsentiert, die Eingang in sein neues Solo-Album gefunden haben.
Das besondere an jenem Carnegie Hall Konzert wie am Album ist, dass es Behzod Abduraimov gelungen ist, für die Kompositionen Stück für Stück eine eigene Atmosphäre zu erschaffen, diese also in einem jeweils eigentümlichen Licht zum Leuchten zu bringen, das die Werke wie neu erschaffen, glaubhaft nahe am ursprünglichen Einfall des jeweiligen Komponisten erklingen lässt. Der Kritiker des New Yorker Blatts The New Criterion konnte seine Begeisterung über das Gebotene nicht zurückhalten und titelte: „Wow. Just wow. “ Und weiter im Text: „The first half of the recital - the Chopin Preludes - was pretty good. But the second half? Oh, my. Mount Olympus. … As soon as he was through, I stood. I have never heard a better Pictures, and never heard one as good, except from Vladimir Feltsman, also in Carnegie Hall, many years ago.“ Diese Begeisterung ist selbst auf dem nun vorliegenden Studioalbum nachvollziehbar, das im Januar 2020 im den Teldex Studio Berlin klangstark produziert worden ist. Insbesondere Mussorgskys Bilder einer Ausstellung lassen den Zuhörer nach dem prächtig inszenierten Schlussstück „Das große Tor von Kiew“, in dem Behzod Abduraimov das prächtige vielstimmige Glockengeläute parallel zur triumphal durchgestalteten Melodie auf dem Klavier täuschen echt erzeugt, mit offenem Mund staunend zurück, nachdem die vorausgehenden vielgestaltigen Charakterstücke in Sachen Rhythmus und Klangfarbe überaus angemessen und überzeugend zum Klingen gebracht worden sind.
Rhythmus und Klangfarbe vereinigen sich unter den Händen des großartigen Gestalters Behzod Abduraimov auch in den 24 Préludes von Chopin und in Childrens Corner von Debussy zu einem jeweils hochgradig eigenständigen Klangwelt. Diese Klangwelt wird selbst innerhalb der einzelnen Stücke der Kompositionen dem Sujet entsprechend variiert. In Childrens Corner wird die Stimmung in "Der Schnee tanzt" innerhalb des vorgegebenen relativ begrenzten dynamischen Bereichs im wieder neu geschaffen. „Jimbo’s Lullaby“ und „Serenade for the Doll“ erfahren fein abgestufte, charmante Charakterisierungen, während die Préludes von Chopin mit zurückhaltendem Rubato, eher klassisch schlicht, in natürlichem Fluss dargeboten werden, der gerade dem berühmten „Regentropfen-Prélude“ wie eine Frischzellenkur besonders überzeugend zugutekommt.
Kein Klavierfan, dem es vorrangig um überzeugende Gestaltung geht, kommt an diesem hervorragend aufgenommenen Album vorbei.
Behzod Abduraimov, Klavier