Die Sonaten und Partiten von Johann Sebastian Bach gehören heutzutage zum Repertoire jedes Geigers der etwas auf sich hält. Haben frühere Geiger-Generationen allenfalls einzelne Stücke der Sonaten und Partiten konzertant zur Aufführung gebracht und Gesamtaufnahmen der Sonaten allenfalls für die Schallplatte produziert, wie etwa Jascha Heifetz, so gehört es heutzutage schon beinahe zum guten Ton, zumindest die Sonaten am Stück im Konzertsaal aufzuführen. Während also die Geiger keine Scheu mehr zeigen, sich dieser technisch enorm anspruchsvollen Bach-Solowerke komplett anzunehmen, gelten sie beim Publikum bis auf eine kleine Schar Eingeweihter als eher schwer verdauliche Kost. Schuld daran ist nicht nur die Gesamtdauer beispielsweise der Sonaten von zirka einer Stunde, sondern auch die bachübliche musikalisch hohe Inhaltsdichte, die eine Herausforderung nicht nur für die Interpreten, sondern auch für das rezpierende Publikum darstellt. Auch die historisch informierte Aufführungspraxis hat nicht wirklich etwas daran geändert, dass diese Solowerke Bachs womöglich auch wegen ihres Rufs, den heiligen Gral der Violinkunst zu repräsentieren, von Geigern mit der Folge vorsichtig wie Heiligtümer angefasst werden, so dass das Ergebnis nicht selten mehr oder weniger akademisch steif , jedenfalls aber emotional gebremst daherkommt.
Dass das so nicht sein muss, das demonstriert Agustin Hadelich, einer der wesentlichen Geiger seiner Generation auf seinem Album mit den Sonaten und Partitas eindrücklich. Dieses Album erweist sich wegen seines Emotionen zulassenden entspannten Musizierens, als wahrer Glücksfall unter den zahlreichen Interpretationen dieser grundlegend wichtigen Bachschen Werke. Dazu gesellt sich die geschickte Präsentation der Werke auf diesem Album mit abwechselnd aufeinanderfolgenden Partiten und Sonaten. Als weiterer, in seiner Wichtigkeit für die Wirkung der Solostücke und sicherlich auch ihrer Interpretation nicht zu unterschätzender Pluspunkt stellt die Wahl des vom Interpreten verwendeten Bogens dar.
Augustin Hadelich spielt auf diesem Album mit einem Barockbogen auf der aus dem ehemaligen Besitz von Henryk Szering stammenden Guarneri del Gesú von 1744. Anstelle eines heutzutage üblichen modernen Bogens greift er gezielt auf diesen „historischen“ Bogen zurück, dessen Besonderheit er im Booklet wie folgt erläutert: " Diese Werke mit Barockbogen zu spielen, war für mich wie eine Offenbarung. In ihrer Länge und ihrem Gewicht unterscheiden sich Barockbögen sehr, sie können aber im Allgemeinen alles, was ein moderner Bogen auch kann. Eine leichte, federnde Artikulation lässt sich mit einem Barockbogen leichter erzeugen. Ich empfand es als befreiend, Bach mit einem Barockbogen zu spielen: Die Saiten lassen sich mit viel mehr Energie anpacken, ohne dass ich mich sorgen müsste, dass der Klang zu rau oder zu expressionistisch wird. Passagen mit Dreier- und Viererakkorden klingen flüssiger, tänzerische Sätze tanzen mehr, langsame Sätze singen mehr. Es gibt natürlich stilistische Entscheidungen, die jeder Interpret bei Bach fällen muss. Ich ließ mich bei der Suche nach der richtigen Artikulation oft vom Barockbogen inspirieren."
Der Einsatz eines Barockbogens stellt also sicher, dass Passagen flüssiger gelingen als mit modernem Bogen und damit tänzerisch frisch wirken. Trotz der offensichtlichen Nähe zur historisch informierten Aufführungspraxis erlaubt sich Hadelich das eine und andere Ausdrucksvibrato. Verzierungen setzt er über die Vorgaben Bachs hinaus in seiner technisch durchgehend unangestrengt wirkenden Interpretation sparsam ein. Strenge Bachsche Strukturen löst Hadelich zugunsten emotionaler Abläufe auf. Nur virtuos zu bewältigende Passagen nimmt er rasant in Angriff und verwandelt sie in sprühend verselbständigte Energie. Musikalischen Entwicklungen vermittelt Hadelich geschickt als Erkenntnisgewinn. Mit großem Geschick verknüpft er dies alles miteinander so, dass sich der Eindruck einstellt, einem natürlichen Schöpfungsakt beizuwohnen.
So früh im Jahr dieses Album auch erscheint, hat es dank seines innovativen Zugangs zu diesen Bach-Werken unzweifelhaft das Zeug, zum Ende des Jahres als einer seiner Höhepunkt zu gelten.
Augustin Hadelich, Violine