Zweiundzwanzig Jahre gingen ins Land, bis Johannes Brahms nach einem von der Kritik recht unfreundlich aufgenommenen ersten Klavierkonzert (Opus 15) sein von der Kritik wohlwollend beurteiltes zweites Konzert (Opus 83) in Angriff nahm. Auf Tonträgern festgehaltene Interpretationen des ersten Konzerts kommen in der Regel schwermütig düster daher, geradeso als ob bei seiner Entstehung das Wetter im Norden Deutschlands auf Weltuntergang gestimmt gewesen war. Kontrastierend dazu ist das zweite Konzert geradezu von südlichem Licht durchflutet, das Brahms wohl nach seiner zweiten Italienreise noch im Herzen trug als er dieses Konzert in Pressburg nahe Wien zu Ende komponiert hatte. Jedenfalls geht dem zweiten Konzert die Schwere des ersten Konzerts ab und auf Tonträger sind Interpretationen nachhörbar festgehalten, die wie eine Aufnahme aus den vierziger Jahren mit Vladimir Horowitz, begleitet vom NBC Symphony Orchestra unter Arturo Toscanini geradezu herzerwärmenden Sonnenschein verbreiten.
Mag sein, dass das in der ohnehin eher düsteren Tonart d-Moll gefasste erste Konzert klavier- und orchesterseitig unter den Umständen seiner eher komplizierten Entstehungsgeschichte Brahms nicht locker aus der Feder geflossen ist und auch daher wenig fröhlich gestimmt daherkommt. So sollte dieses Werk ursprünglich im Gewand einer Sonate für zwei Klaviere entstehen. Nachdem seine Konzeption jedoch das Ausdrucksvermögen von zwei Klavieren überstieg versuchte der junge Brahms, es als Sinfonie zu fassen, besaß jedoch zu dem Zeitpunkt noch nicht das erforderliche Instrumentationsgeschick bzw. traute sich dieses nicht zu.
Die nahezu erdrückende Schwere, die auf dem ersten Konzert, hie da auch auf dem zweiten Konzert zu Lasten scheint, hat auch etwas mit der die Schwere unterstützenden interpretatorischen Einstellung von Pianist und Dirigent, mit der riesigen Orchesterbesetzung und nicht zuletzt mit der Klangmächtigkeit moderner Flügel zu tun, die für das Konzert zum Einsatz kommen. Die neue Aufnahme der beiden Brahms-Klavierkonzerte vermeidet durchgehend jegliche Schwere und Düsterkeit. Erreicht wird dies durch dem vom Pianisten und Dirigenten bevorzugten, deutlich leichteren Ansatz der Darstellung dieser herrlichen Musik und die die Nutzung eines historischen Blüthner-Flügels aus der Entstehungszeit des ersten Konzerts. Zu diesem Ansatz bemerkt András Schiff im Booklet des Brahms-Albums: „Die Musik von Johannes Brahms ist nicht schwerfällig, grob , dick und laut, sondern ganz im Gegenteil durchsichtig und feinfühlig, dynamisch äußerst differenziert und schattiert. Die von ihm damals bevorzugten Orchester von Leipzig und Meiningen waren mäßig besetzt; Hans von Bülow dirigierte in Meiningen 49 Musiker, davon lediglich neun erste Violinen. Dazu schätzte Brahms vor allem die Flügel aus den Werkstätten von Streicher, Bösendorf und Blüthner, Instrumente, die mehrere Lichtjahre von den heute omnipräsenten und omnipotenten Steinways entfernt sind. Sie sind transparenter, gesanglicher und dank der parallelen Anordnung der Bass-Saiten obertonreicher.“
Tatsächlich erklingen die beiden Brahms-Konzerte in dieser Neuaufnahme mit dem Orchestra of the Age of Enlightment und András Schiff, der in Personalunion den Klavierpart spielt und das Orchester dirigiert, komplett neu und aufregend, weil hier das Bild von Johannes Brahms gerade gerückt wird, der keine Musik geschrieben hat, von den das erste Konzert vor Schwere und Schwermut kaum zu gehen vermag, sondern – auch im ersten Konzert – eine Musik, die „durchsichtig und feinfühlig, dynamisch äußerst differenziert und schattiert“, eben ein echter Brahms ist. Einen entscheidenden Beitrag zu dem gelungenen Ansatz leistet das Orchestra of the Age of Enlightment, das durchgehend kammermusikalisch musiziert, dessen Streicher mit Darmsaitenspielen, dessen Bläser fein abgestufte Farben beisteuern und dessen Pauken schlank Akzente setzen. Nicht zuletzt verdankt das Brahms-Album dem Tonmeister Stephan Schellmann seinen unglaublich authentischen Sound, der voll im Einklang mit den Zielen des dirigierenden Pianisten steht.
Dieses Album mit den beiden Klavierkonzerten von Johannes Brahms ist ein absolutes Muss für alle, die diesen Komponisten verehren und lieben.
András Schiff, Klavier
Orchestra of the Age of Enlightenment